Berlin – Zahlreiche Bundestagsabgeordnete und Vertreter der Bundes- und Landesministerien sowie weitere Gäste waren der Einladung des Deutschen Weinbauverbandes e.V. (DWV) zu einem Parlamentarischen Abend im Haus der Land- und Ernährungswirtschaft in Berlin gefolgt, um sich zu informieren, wie der Weinbau mit dem Thema „Nachhaltigkeit“ umgeht und sich anschließend bei Weinen aus allen deutschen Anbaugebieten hierüber auszutauschen.
Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, Dr. Hermann Onko Aeikens, und die Deutsche Weinkönigin, Angelina Vogt, richteten ein Grußwort an die Gäste. Dabei ging Dr. Aeikens aus Sicht der Bundesregierung auf die hochaktuellen Themen wie das Agrarpaket, das Aktionsprogramm „Insektenschutz“, Novellierung der Düngeverordnung, die Entwicklungen des deutschen Weinexports vor dem Hintergrund der US-Strafzölle und die Weinprofilierung ein. Die deutsche Weinkönigin erläuterte aus Ihrer Sicht die drei Säulen der Nachhaltigkeit: Ökologie, Ökonomie und Soziales.
Hauptredner des Abends war Professor Dr. Hans Reiner Schultz, Vorsitzender der Fachgruppe „Nachhaltigkeit“ der Internationalen Organisation für Rebe und Wein (OIV). Er informierte über die vielfältigen Variablen, die Einfluss auf den Klimawandel haben. Nach allen Prognosemodellen wird die Nordhalbkugel der Erde mit den größten Herausforderungen konfrontiert sein. Besonders wichtig sei, laut Professor Schultz, die Unterstützung der Verbraucher durch die Bereitschaft, höhere Lebensmittelpreise für einen nachhaltigen Klimaschutz zu zahlen.
Präsident Klaus Schneider nutzte das Forum, um die Haltung des DWV zu den aktuellen politischen Themen auszuführen. Er bezeichnete den deutschen Weinbau als Paradebeispiel dafür, nicht nur die Stürme der Zeit über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg überdauert, sondern sich unter dem tatkräftigen Einfluss von Winzern fortschrittlich auch weiter entwickelt zu haben.
„Wir wollen, dass dies weiterhin Bestand hat und stellen uns daher den großen Herausforderungen mit Offenheit, Transparenz, Engagement und Verantwortungsbewusstsein. Vor allem sind wir zu dem aus unserer Sicht notwendigen Dialog mit Gesellschaft und Politik bereit.“, sagte Schneider. In diesem Zusammenhang mahnte er an, dass gerade die Bereitschaft der verantwortlichen Politiker für diesen Austausch mit der Weinwirtschaft zuletzt viel zu kurz gekommen sei. Hierbei beklagte er, dass mit dem Berufsstand zu vielen ihn betreffenden Themen nicht oder zu spät gesprochen wurde und forderte daher die Politik auf, künftig den DWV in die Diskussionen um horizontale Themen einzubinden, damit sektorspezifische Aspekte des Weinbaus ausreichend Berücksichtigung finden.
Er führte weiter aus, dass das derzeitige „Bashing“ des Agrarsektors aufhören müsse. Populistischen, manchmal auch ideologisierten Forderungen von zumeist nur einem kleinen Teil der Gesellschaft, müsse die Politik mit einer sachorientierten Diskussionskultur entgegentreten. Eine „gefühlte Wahrheit“ dürfe nicht zu stimmungsgetriebenen Entscheidungen führen. DWV-Präsident betonte, dass Nachhaltigkeit im Weinbau schon bisher einen hohen Stellenwert hatte. Es gäbe hier Vieles zu benennen.
Die Entwicklung des Weinbaus schreite insgesamt in Richtung Nachhaltigkeit voran und umfasse nicht mehr nur anbauspezifische Themen, sondern beziehe heute alle Bereiche – ökologische, ökonomische und soziale – mit ein, über die Kellerwirtschaft bis hin zur Vermarkung. Diese Entwicklung gelte für den gesamten Weinbau, sei aber in der Öffentlichkeit oft nur dort bekannt, wo Ökologie und Nachhaltigkeit besonders prominent im Fokus stehen.
Anschließend kam er auf aktuelle Reizthemen für die Weinbaubetriebe zu sprechen. Die Zielsetzung des Aktionsprogramms Insektenschutz, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln massiv einzuschränken und die Umsetzung des Verbots von Glyphosat bis Ende 2023 bezeichnete er aus Sicht des Berufsstandes insbesondere für den Steillagenweinbau und die Böschungspflege als nicht praxistauglich. Mechanische Alternativen zur Beikrautregulierung seien nicht zwingend nachhaltiger als chemische, denn sie bedeuten u.a. dass Energieverbrauch, Erosionsgefahr, Mineralisierung von Stickstoff und Bodenverdichtung steigen.
Präsident Schneider unterstrich, dass bisher keine verlässlichen und allseits anerkannten Studien zur Ursache für den Rückgang der Insektenpopulationen vorliegen und hier immer wieder lediglich Vermutungen geäußert würden. Die Landwirtschaft sei hier aber sicherlich nicht allein verantwortlich. „Deshalb lehnen wir das vorliegende Aktionsprogramm ab. Die mit diesem Aktionsprogramm geplanten Maßnahmen bis zu einem Komplettverbot in Schutzgebieten kommen einer Enteignung gleich, denn ohne Pflanzenschutz – und das insbesondere in Zeiten des Klimawandels – werden die phytosanitären Herausforderungen eher größer als kleiner. Wir sind sehr wohl bereit, zusammen mit Wissenschaft, Lehre und den Pflanzenschutzgeräteherstellern eine Reduktionsstrategie anzustoßen.“, so der DWV-Präsident.
Als weiteres Reizthema nannte Schneider auch die neuen Anwendungsbestimmungen beim Pflanzenschutz. Er kritisierte dass diese fachtheoretisch und ohne Einbindung des Sachverstands des Berufsstands entwickelt wurden und somit weitgehend nicht praktikabel sind. Beispielhaft hierfür nannte er das Thema „Schutzanzüge“ und führte hierzu aus, dass in Erinnerung an den Hitzesommer 2019 mit Extremtemperaturen das Tragen von Schutzanzügen nicht nur in Steillagen eher gesundheitsgefährdend als gesundheitsschützend gewesen wäre. Schneider begrüßte, dass zwischenzeitlich auf Forderung des DWV hin in Fachgesprächen mit dem beteiligten Ministerium und den zuständigen Behörden erste Schritte zur Verbesserung der Situation eingeleitet wurden.
Auch die Düngeverordnung bezeichnete er als „heißes Eisen“. Sie sei fachlich, sachlich und handwerklich kein gut ausgearbeitetes Regelwerk. Schneider kritisierte, dass diese ohne ausreichende Einbeziehung des Berufsstandes und Fachberatung und im letzten Schritt auch ohne die Länder festgelegt wurde. Die getroffenen Regelungen differenzierten auch keine kulturartenspezifische Besonderheiten wie beispielweise die Dauerkultur Weinbau. „An den Nitratgehalten im Grundwasser ist keinesfalls allein die Landwirtschaft schuld. Anthropogene Faktoren, d.h. geklärte Abwasser spielen hier auch eine entsprechende Rolle. Des Weiteren geht die aktuelle Situation im Grundwasser auch auf die Handlungsweisen vor 30 bis 40 Jahren zurück, die sich an der staatlichen Offizialberatung orientierten.“, so DWV-Präsident Schneider. Mit einer für 2020 geplanten pauschalen Reduzierung der N-Düngung unter dem ermittelten Nährstoffbedarf ergeben sich für den Weinbau erhebliche Konsequenzen. Denn mit einer dann nur noch reduziert zulässigen Ausbringungsmenge an organischem Material – Trester, Mist oder Kompost als Drei-Jahresgaben – könne kein ausreichender Humusaufbau betrieben werden und in vielen Fällen auch kein ausreichendes Humusniveau – entsprechend der jeweiligen Bodenart – gehalten werden. Es sei daher vorprogrammiert, dass besonders in hängigem bzw. steilem Gelände die Erosionsgefahr steigen wird und auch das potentielle Speichervermögen des Bodens für Wasser in Zeiten zunehmenden Trocken- und Dürreperioden fehlen wird.
In seinen weiteren Ausführungen ging der DWV-Präsident auf die anstehende Reform des Weingesetzes ein. Das Schwerpunktthema dieser Reform müsse eine Neuausrichtung des Bezeichnungsrechts hin zu einer Profilierung der Herkunft sein. Anlass der DWV-Überlegungen sei der in Brüssel 2008 erfolgte Paradigmenwechsel. Die Qualitätspolitik der EU orientiere sich seitdem an geschützten Herkünften. Andere Mitgliedstaaten hätten diese Systemumstellung bereits seit langem erfolgreich umgesetzt.
„Der Deutsche Weinbauverband setzt sich daher seit nunmehr fast zwei Jahren dafür ein, das alte Bezeichnungssystem in ein herkunftsorientiertes Qualitäts- und Bezeichnungssystem zu überführen, das für den Verbraucher transparent und leicht verständlich ist. Wir fordern daher, dass hinter jeder geschützten Herkunftsbezeichnung ein Qualitätsversprechen steht, wobei die Angabe einer kleineren Herkunft ein größeres bzw. spezifischeres Qualitätsversprechen beinhalten muss. Nach Ablauf einer Übergangsfrist soll damit ein Nebeneinander von profilierten und nicht profilierten Herkünften ausgeschlossen sein!“, so Präsident Schneider.
Zum Schluss seiner Ausführungen kam er auf das Thema Alkoholpolitik zu sprechen. Hierbei kritisierte er die insbesondere auch aufgrund des Einflusses der nördlichen Länder festzustellende Tendenz in Europa, den Alkoholkonsum an sich und nicht nur den Alkoholmissbrauch zu bekämpfen. Er mahnte dazu an, statt Verboten weiterhin auf Selbstkontrolle durch den Deutschen Werberat zu setzen. Prävention sei besser als Verbote. In diesem Zusammenhang bezeichnete er die Unterstützung der Arbeit der Deutschen Weinakademie, die sich für die Umsetzung des Programms „Wine in Moderation (kurz WIM)“ kümmert, als von größter Bedeutung.