Verrat am Weinbau

Quelle: DWI

Der von Sarah Wiener vorgelegte Berichtsentwurf zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) ist radikaler als der EU-Verordnungsvorschlag. Was der Entwurf beinhaltet und bedeutet.

Die Halbierung des Einsatzes und Risikos von Pflanzenschutzmitteln bis Ende dieses Jahrzehnts sieht die EU in verschiedenen Strategien vor. Der »EU-Verordnungsvorschlag zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln« soll dieses Ziel in einer Rechtsvorschrift verankern. Ein weiterer Aspekt ist die verbesserte Harmonisierung der Umsetzung in der gesamten EU (zum Beispiel im Hinblick auf Bestimmungen zum integrierten Pflanzenschutz).

Kritikpunkte

Der Verordnungsvorschlag steht stark in der Kritik. Verkürzt dargestellt würde der deutsche Weinbau mindestens ein Drittel seiner Rebfläche aufgrund eines drohenden Totalverbots von Pflanzenschutzmitteln in den sogenannten empfindlichen Gebieten verlieren.

Der Deutsche Weinbauverband sensibilisierte politische Entscheidungsträger zu den verheerenden und ungerechtfertigten Auswirkungen auf die Weinbaubetriebe sowie auf die Kulturlandschaft und die nachgelagerten Bereiche wie Gastronomie und Tourismus. Der Berufsstand machte Druck – mit Erfolg: Nach einer Reihe von Debatten im EU-Rat über den Vorschlag musste die EU-Kommission auf den politischen Druck reagieren und legte im November 2022 ein sogenanntes Non-Paper vor, das sich speziell mit der Frage der empfindlichen Gebiete befasste und eine Anpassung der empfindlichen Gebiete an ihr Erhaltungsziel in Aussicht stellte. Darüber hinaus nahm der Rat im Dezember 2022 einen Beschluss an, in dem er die Kommission aufforderte, einige zusätzliche Daten zur Ergänzung der Folgenabschätzung zu verschiedenen Aspekten vorzulegen, unter anderem der Ernährungssicherheit und den Auswirkungen des Angriffskrieges auf die Ukraine.

Bericht von Sarah Wiener

Am 14. Februar 2023 veröffentlichte Sarah Wiener (AT, Grüne), Berichterstatterin des federführenden Ausschusses im europäischen Parlament, ihren Berichtsentwurf zu genanntem EU-Verordnungsvorschlag. Berichterstatterin Wiener ist überzeugt, dass eine drastische Verringerung der Verwendung und des Risikos von Pestiziden notwendig ist, um den Zusammenbruch der Ökosysteme und schwerwiegende Schäden für die Bestäuberpopulation zu verhindern. Dies sei das einzig mögliche künftige Vorgehen, um die Ernährungssicherheit sicherzustellen, die Abhängigkeit der Landwirte von teuren Betriebsmitteln zu verringern, widerstandsfähige Lebensmittelsysteme zu fördern, gesündere Lebensmittel zu ermöglichen und unsere Ökosysteme zu schützen. In 269 Änderungsanträgen legt Sarah Wiener auf 177 Seiten dar, wie aus ihrer Sicht der Verordnungsentwurf der EU-Kommission verbessert werden sollte.

Abgabe von PSM nur an berufliche Verwender

Die Verwendung von chemischen Pflanzenschutzmitteln (PSM) durch und deren Verkauf an nicht-professionelle Anwender soll verboten werden. Die Anwendung von allen Pflanzenschutzmitteln in Parks sowie von der Allgemeinheit genutzten Gebieten soll darüber hinaus nicht erlaubt sein. Nicht-geschulte Anwender wären ansonsten aus ihrer Sicht einem Risiko ausgesetzt, welches nicht in Sachkunde trainierte Hobbygärtner nicht einschätzen können. Zusätzlich sollen gefährdete Gruppen wie Schwangere ebenso vor PSM geschützt werden, weswegen in Gebieten, die stark von gefährdeten Gruppen frequentiert werden, auf PSM verzichtet werden soll. Die Halbierung des Einsatzes von PSM ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Daher ist es richtig, nicht nur die Landwirtschaft in die Aufgabe der Reduktion miteinzubeziehen, sondern auch den Haus- und Kleingartenbereich, im Pflanzenschutz ungeschulte Hobbygärtner und die Kommunen.

Reduktionsziele und Berechnung

Die Forderungen der EU-Kommission werden im Wiener-Bericht teilweise übertroffen: der Wiener-Bericht sieht eine Reduktion von »gefährlicheren« Pflanzenschutzmitteln um 80 Prozent bis Ende dieses Jahrzehnts vor, während die EU-Kommission eine 50-prozentige Reduzierung der Menge und des Risikos von Pflanzenschutzmittel bis 2030 veranschlagt hatte. Dies sei notwendig, da es sich bei den gefährlicheren PSM um Substitutionskandidaten handele, welche bereits seit 2015 hätten auslaufen sollen. Unter Miteinbeziehung des Flexibilitätsmechanismus (wer bereits viel reduziert hat, muss weniger reduzieren) sollen auf nationaler Ebene mindestens 70 Prozent der gefährlicheren PSM eingespart werden.
Wiener schlägt vor, den Bezugszeitraum der durchschnittlichen Einsatzmenge auf die Periode zwischen 2018 und 2020 zu verschieben. Ziel ist, den Zustand direkt vor Inkrafttreten der SUR zu beschreiben und eine höchstmögliche Transparenz zu schaffen. Die EU-Kommission hatte im Verordnungsvorschlag die Jahre 2015 bis 2017 vorgesehen. Die größten Einsparungen liegen weiter zurück und würden sich daher in der Berechnung nicht wiederfinden. Wiener stützt ihren Vorschlag auf einen Forschungsbericht des Umweltbundesamtes »Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Pflanzenschutz«.

Zwischenreduktionsziel

Zudem wird in dem Bericht ein Zwischen-Reduktionsziel bis 2026 ins Spiel gebracht, um den Zeitplan der Reduktion zu straffen. Ursprünglich war der Zeithorizont zur Zielerreichung das Jahr 2030 ohne Zwischenschritte. Die Etappenreduktionsziele sollen auf nationaler Ebene gelten. Mindestens 50 Prozent des Ziels für das Jahr 2030 sollen hierbei erreicht werden.
Die Verschränkung von Menge und Risiko ist entscheidend für die Berechnung der Reduktionsziele. Während das Biodiversitätsstärkungsgesetz aus Baden-Württemberg eine Mengenreduktion vorsieht, bezieht die EU-Kommission in ihren Reduktionszielen eine risikobasierte Gewichtung der Wirkstoffe mit ein. Sogenannte »low-risk« Wirkstoffe erhalten den Gewichtungsfaktor eins, während Substitutionskandidaten wie Kupfer mit dem Faktor 16 in die Berechnung miteinfließen. Wiener fordert die Normierung der Verkaufsmengen von Pestiziden mit ihrer mittleren Aufwandmenge, um Unterschiede im Gefährdungspotenzial für Mensch und Umwelt in der Berechnung der Risikoindikatoren und der Reduktionsziele ausreichend zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass Wirkstoffe mit höheren mittleren Aufwandsmengen, wie beispielsweise Kupfer, weniger stark in die Bilanz miteinfließen als im ursprünglichen Verordnungsvorschlag angedacht.

Empfindliche Gebiete

Für die sogenannten empfindlichen Gebiete wurde von der EU-Kommission ein Totalverbot an Pflanzenschutzmitteln vorgeschlagen. Sowohl das Totalverbot, als auch die breite und unklare Definition der betroffenen Gebiete stießen auf große Kritik der Berufsverbände sowie der Mitgliedstaaten. Berichterstatterin Wiener möchte aus der Definition der empfindlichen Gebiete nitratempfindliche Bereiche ausschließen. Aus dem Verzeichnis der national ausgewiesenen Schutzgebiete (CDDA) sollen nur die Flächen in die Definition miteinbezogen werden, deren Erhaltungsziele sich auf Natur, Biodiversität oder den Schutz von Lebensräumen beziehen. Gebiete, die aus anderen Gründen als Schutzgebiete ausgewiesen sind, zum Beispiel wegen der Schönheit der (Kultur-)Landschaft oder der Erhaltung historischer Denkmäler, sollten von dieser Definition ausgenommen werden. Diese Anpassung der Definition war auch von Vertretern der Wissenschaft gefordert worden. Für den Weinbau stellt dies zunächst eine Verbesserung der ursprünglichen Definition dar, wenngleich Rebflächen – beispielsweise in Naturschutzgebieten – weiterhin unter die Definition der empfindlichen Gebiete fallen würden.
Zusätzlich soll eine Pufferzone um sensible Bereiche von zehn Metern anstatt drei Metern ausgewiesen werden. Für empfindliche Gebiete, die von gefährdeten Gruppen genutzt werden, beträgt diese Pufferzone 50 Meter. Eine Pufferzone von 50 Metern ist auch bei der Verwendung von gefährlicheren Pestiziden einzuhalten. Als Begründung wird angeführt, dass der vorgeschlagene Abstand von drei Metern zu Schutzgebieten nicht ausreicht, um zu verhindern, dass Pestizide bei ihrer Anwendung über die Abdrift in Schutzgebiete gelangen. Neue Erkenntnisse legen laut Wiener nahe, dass wirksame Pufferzonen mehrere hundert Meter breit sein müssen, um den Eintrag von Pestiziden zu verhindern.

Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, die für den ökologischen Landbau zugelassen sind, könnten in bestimmten Schutzgebieten erlaubt werden, um die Fortsetzung der spezifischen landwirtschaftlichen Tätigkeiten in ökologisch empfindlichen Gebieten zu ermöglichen, die in diesen Gebieten bereits stattfinden. In menschlichen Siedlungen sowie auf nicht-produktiven Flächen im Sinne der GLÖZ-Standards soll die Verwendung von Wirkstoffen, die im ökologischen Anbau zugelassen sind, ebenso ermöglicht werden. Durch die Beschränkung auf Pflanzenschutzmittel aus dem ökologischen Landbau, soll eine umweltverträglichere Nutzung dieser Flächen erreicht werden. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass das Totalverbot an Pflanzenschutzmitteln unter anderem in öffentlichen Parks, Garten, Freizeit- oder Sportplätzen, in überwiegend von einer gefährdeten Personengruppe genutzten Gebieten sowie in städtischen Gebieten bedeckt von einem Wasserlauf oder einer Wasserfläche weiterhin besteht. Die Pflege von Sportplätzen, sei es der lokale Fußballclub oder die Bundesliga sowie von Golfplätzen, wird in Zukunft nach den Vorstellungen von Frau Wiener ohne Pflanzenschutzmittel auskommen müssen.

Integrierter Pflanzenschutz (IPS)

Eines der wichtigsten Ziele des Verordnungsvorschlags besteht darin, die Durchführung des integrierten Pflanzenschutzes zu forcieren. Die Anforderungen in Bezug auf den integrierten Pflanzenschutz werden in dem Berichtsentwurf verschärft, um sicherzustellen dass chemische Pestizide nur als allerletztes Mittel verwendet werden. Gleichzeitig werden die Anforderungen für die Schulung von beruflichen Verwendern und Beratern und für die Einrichtung eines Systems der unabhängigen Beratung verstärkt.
Die Durchführung des IPS ist für berufliche Verwender verpflichtend. Berufliche Verwender dürfen chemische Verfahren nur dann anwenden, wenn sie erforderlich sind, um eine Bekämpfung der Schadorganismen bis auf ein annehmbares Maß zu erreichen, nachdem alle anderen nichtchemischen Methoden ausgeschöpft sind. Wurde dies durch ein Entscheidungshilfesystem oder durch einen Berater gerechtfertigt, entscheidet der berufliche Verwender im Wege einer dokumentierten Entscheidung, aus Präventionsgründen chemische Verfahren des Pflanzenschutzes anzuwenden.

Noch mehr Bürokratie

In diesem Fall reicht der Anwender bei der zuständigen Behörde einen Antrag ein, in dem er erläutert, wie nichtchemische Präventivmaßnahmen angewandt wurden und begründet, warum die Verwendung des chemischen Pflanzenschutzmittels an einem bestimmten Standort im Hinblick auf die Verringerung des Gesamtrisikos der angewandten chemischen Pflanzenschutzmittel notwendig ist. Die zuständige Behörde entscheidet über den Antrag innerhalb von zwei Wochen nach dessen Einreichung.
In einem elektronischen Register für den integrierten Pflanzenschutz und die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln werden Daten zur PSM-Anwendung gesammelt (pro Vorgang verwendeter Wirkstoff mit Aufwandmenge, Grund für die Anwendung, Witterungsbedingungen zum Zeitpunkt der Ausbringung, etc.). Die zuständigen Behörden veröffentlichen einmal pro Jahr auf einer Website die Zusammenfassung und Analyse der Informationen für die Öffentlichkeit. Die Daten sollen in anonymisierter Form auch für Dritte zu Forschungszwecken zugänglich sein, sowie beispielsweise für Trinkwasserversorger. Sarah Wiener möchte die Verfügbarkeit von Daten zur PSM-Anwendung stärken. Hierzu scheint es für sie nicht ausreichend zu sein, die jährlichen PSM-Anwendungsdaten von Erhebungsbetrieben im Rahmen des Panel Pflanzenschutzmittel-Anwendungen (PAPA) zu stärken, und die PSM-Anwendungen zu modellieren.

Die Anwendung von PSM mit Luftfahrzeugen

Die Anwendung von PSM mit Luftfahrzeugen ist verboten. Ausnahmen soll es für unbemannte Luftfahrzeuge geben. PSM-Anwendungen mit dem Hubschrauber sind trotz hoher Auflagen in dem Berichtsentwurf von Sarah Wiener nicht mehr vorgesehen. Ein flächendeckender Ersatz von Hubschraubern mit Drohnen mag wünschenswert sein, scheint jedoch auf kurze Sicht unrealistisch.

Finanzierung

Mehrere Mitgliedstaaten haben bereits Steuern auf Pestizide eingeführt. Die Vorschriften über die Besteuerung von Pestiziden sollen harmonisiert werden, um Verzerrungen des Binnenmarktes zu vermeiden und um dem Ziel der Verringerung der Pestizidbelastung beizutragen. Für die Finanzierung der Maßnahmen des IPS benötigt es Geld. Von der EU-Kommission fordert Sarah Wiener einen Bericht, in dem verschiedene Optionen für die Einführung risikobasierter Steuern oder Abgaben auf Pestizide in allen Mitgliedstaaten oder auf Unionsebene analysiert werden, gefolgt von einem Legislativvorschlag.

Nächste Schritte

Berichterstatterin Wiener wird ihren Bericht am 2. März 2023 im federführenden Umwelt-Ausschuss des Europäischen Parlaments vorstellen. Im Ausschuss soll bereits diesen Mai über Änderungen in ihrem Berichtsentwurf abgestimmt werden. Der Vorsitzende des AGRI-Ausschusses, Norbert Lins, hat angekündigt, den Bericht des AGRI-Ausschusses erst im September vorzulegen. Der Fortschrittsbericht des Rates wird für Juni erwartet. Der DWV plant daher insbesondere, neben der Erwirkung von Änderungen am Berichtsentwurf, mit Stellungnahmen auf politische Entscheidungsträger zuzugehen sowie mit Pressemitteilungen öffentlich auf die Auswirkungen des Berichtes aufmerksam zu machen.

Um die Umwelt zu schützen, möchte die Gesellschaft die Mengen und das Risiko des PSM-Einsatzes halbieren, zusätzlich schlägt Sarah Wiener eine 80 prozentige Reduktion gefährlicherer PSM bis 2030 vor. Im Berichtsentwurf von Sarah Wiener wird die Abgabe von Pflanzenschutzmitteln an Hobbygärtner und damit deren Anwendung im privaten Bereich untersagt. Auf Sportrasen und in Parks würde ebenso kein PSM mehr ausgebracht werden.

Für die Landwirtschaft gelten abhängig des Gebietes, in dem PSM angewendet werden sollen, unterschiedliche Regeln: die PSM des ökologischen Anbaus sind in ökologisch empfindlichen Gebieten erlaubt. Reine Landschaftsschutzgebiete zählen nicht mehr zu den empfindlichen Gebieten. Auf allen Flächen, unabhängig davon, ob sie zu empfindlichen Gebieten zählen oder nicht, wird der integrierte Pflanzenschutz vorgeschrieben.

Eine praxisnahe und bürokratiearme Umsetzung des IPS scheint aufgrund der vorgesehenen Beantragung von chemischen Pflanzenschutzmaßnahmen, wie sie im Weinbau unabdingbar sind, unrealistisch.

Hinweis

Dieser Artikel ist im ddw 05/2023 erschienen.

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