Ein schneller Abschluss hat heute für viele oberste Priorität, doch gut Ding will Weile haben.
Die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt noch irgendwo ein Meister vom Himmel fällt, sinkt kontinuierlich. Eigentlich komisch, denn der Arbeitsmarkt verlangt nach Fachkräften. Handwerker, gleich welchen Gewerks, werden händeringend gesucht, haben volle Auftragsbücher und entsprechend lange Wartezeiten. Wer heute Fliesenfachmann mit eigenem Meisterbetrieb ist, kann sich, wenn er nicht alles falsch macht und seine Zahlen und Leute im Griff hat, den sprichwörtlichen »goldenen Boden« fachmännisch selbst verlegen. Woran liegt es also, dass sich immer weniger junge Menschen für eine Ausbildung im Handwerk bzw. für die Weiterbildung in Form einer Meisterprüfung entscheiden? Die Gründe sind vielfältig. Häufig genannt: Die Krise am Bau in den 1990er Jahren. Die hat sich allerdings längst in einen Boom umgekehrt. Also sollte man erwarten, dass sich heutzutage wieder mehr junge Menschen für die einschlägigen Berufe entscheiden, doch weit gefehlt. Gab es in den 90er Jahren noch rund 9.000 Azubis im Fliesenlegerhandwerk, sind es heute gerade mal 2.500. Ihnen stehen nicht einmal mehr 100 neue Meister pro Jahr im ganzen Land gegenüber. Die Abwärtsspirale ist Programm: Weniger Meister bedeutet weniger Ausbildung, weniger Gesellen und Azubis und schließlich weniger Qualität in der Ausführung. Das Einzige, was bei dieser Spirale nicht sinkt, sind die Preise ‑ ganz im Gegenteil, für die Kunden wird Qualität immer teurer.
Kein Bildungsweg ist besser als der andere. Entscheidend ist, was der Einzelne draus macht.
Holger Klein, ddw-Chefredakteur
Nicht zuletzt aufgrund dieser Entwicklung gilt vielen die von der EU forcierte Abschaffung der Meisterpflicht für 53 Berufsgruppen als Fehler. Sie ist aber längst nicht der einzige Grund warum das Handwerk zwar Zukunft aber immer weniger Zulauf hat. Ebenso verantwortlich ist die Tertiärisierung. In unserer Dienstleistungsgesellschaft genießen Berufe, in denen man sich auch mal die Hände schmutzig machen muss, ein geringeres Ansehen als die sogenannten »white collar worker«. Das führt zu einer steigenden Zahl an Abiturienten, die nach dem Gymnasium einen akademischen Abschluss anstreben (Stichwort Bachelorisierung«).
Dieser Trend macht auch vor der Weinbranche nicht halt. Vom Wintersemester 2013/14 bis heute (2018/19) hat die Zahl der Studierenden in Weinbau und Kellerwirtschaft laut Destatis um 17 Prozent auf rund 1.172 zugelegt. Im gleichen Zeitraum gab es jährlich nur rund 30 neue Winzermeister im Land. Ich möchte diese Entwicklung nicht werten. Klar scheint aber, dass sich der Akademisierungstrend nicht, wie jüngst von der Bundesregierung angeregt, mit der plumpen Umetikettierung des Meistertitels in einen »Bachelor professional« stoppen lässt. Zumal sich an diesem Punkt direkt Widerstand in den Kultusministerien regte, die ihrerseits das Ansehen der Hochschulabschlüsse durch diese Gleichstellung in Gefahr sehen.
Ich halte von solchen Diskussionen nichts. Meiner Meinung nach sollte jeder möglichst die Ausbildung machen, auf die er Lust hat und zu der er befähigt ist. Wichtig scheint mir nur, dass sich junge Menschen ernsthaft Gedanken darüber machen, wo ihre Stärken, Neigungen und Interessen liegen, und dass sie ihren Beruf nicht allein aus Imagegründen wählen. Doch selbst wenn sie das tun oder sich falsch einschätzen oder gar überschätzen, ist unser Bildungssystem durchlässig genug, dass sie immer wieder neue Wege einschlagen können. Per se ist kein Bildungsweg besser als der andere. Entscheidend ist, was der Einzelne daraus macht und dass man sich nach der Ausbildung nicht einbildet, fertig gebildet zu sein. Egal ob Fliesenleger oder Winzer erst jahrelange Übung macht den Meister.